Digitale Logos-Edition
Philon von Alexandria war ein sehr produktiver Autor des 1. Jahrhunderts. Unter den fast 50 von ihm überlieferte Schriften befinden sich einige exegetische Texte, die sich mit dem alttestamentlichen Gesetz beschäftigen. Darunter befinden sich Über die Weltschöpfung mit einem Weltschöpfungsbericht, einem historischen und gesetzgeberischen Teil, Über Abraham, welches die Erzväter als leibhaftiges ungeschriebenes Gesetz beschreibt, Über Joseph, der als Vorbild eines Politikers dargestellt wird, Über das Leben des Mosis, ein einleitendes biografisch orientiertes Werk über Mose als Gesetzgeber, Priester und Prophet, und Über den Dekalog, welches eine allgemeine Erläuterung des Gesetzes enthält.
Diese deutsche Übersetzung wurde herausgegeben von Prof. Dr. Leopold Cohn.
Das Buch von der Weltschöpfung (de opificio mundi) gehört zu der zusammenhängenden Reihe von Schriften, die eine systematische Darstellung des Mosaischen Nomos d. hl. des wesentlichen Inhalts des Pentateuchs zum Gegenstande haben. Dieser zerfällt nach Philo in drei Teile: den Weltschöpfungsbericht, einen historischen und einen gesetzgeberischen Teil. Dieser Dreiteilung entsprechend besteht auch Philos Werk nach dem Plane, den er wiederholt angibt, aus drei Hauptteilen: über die Weltschöpfung, über das Leben der Patriarchen (Abraham, Isaak, Jakob, Joseph), über die Gesetze; in dem letzten und größten Teil behandelt er zuerst den Dekalog, der die allgemeinen Grundlagen der Gesetze enthält, dann in mehreren Büchern die Spezialgesetze. Den Bericht von der Weltschöpfung hat Moses nach der Meinung Philos mit Absicht den Gesetzen selbst vorangeschickt, um zu zeigen, dass Gesetz und Welt in vollem Einklang miteinander stehen und dass der gesetzestreue Mensch zugleich der wahre Weltbürger ist, da er nach dem Gesetz der Natur lebt, durch das auch die Welt regiert wird; Moses will damit gewissermaßen auf seine Gesetzgebung vorbereiten.
Das Buch Über Abraham (de Abrahamo), wie es gewöhnlich genannt wird, eröffnet den zweiten Teil des systematischen Werkes über die Mosaische Gesetzgebung. Der eigentliche Titel des Buches lautet: „Lebensbeschreibung des Weisen, der durch Belehrung zur Vollkommenheit gelangte“, oder „(das erste Buch) der ungeschriebenen Gesetze“. Nachdem Philo in dem Buche über die Weltschöpfung den biblischen Schöpfungsbericht und die Geschichte des ersten Menschenpaares erläutert hat, behandelt er in den Lebensbeschreibungen der Patriarchen den übrigen hauptsächlichen Inhalt des ersten Buches Mosis. Die drei Erzväter sind ihm nach ethisch-allegorischer Auffassung Sinnbilder des stoischen Ideals des Weisen, und zwar stellen sie die drei Wege dar, auf denen der Weise zur vollkommenen Tugend gelangt: Abraham ist der Typus des Weisen, der durch Belehrung Tugend erwirbt, dem Isaak ist sie von Natur angeboren, Jakob eignet sie sich durch Übung an. Die Patriarchen sind zugleich, wie er am Anfang dieser Schrift ausführt, Verkörperungen der ungeschriebenen Gesetze; in ihrer vorbildlichen Lebensführung, die sich an das natürliche Sittengesetz anlehnte, sind die von Moses dem Volke Israel gegebenen Gesetze gewissermaßen schon lebendig gewesen. Von den drei Büchern über die Erzväter ist nur das Buch über Abraham auf uns gekommen, die Bücher über Isaak und Jakob sind verloren gegangen.
Da die Lebensbeschreibungen der Patriarchen Isaak und Jakob nicht erhalten sind, so folgt auf das Leben Abrahams unmittelbar das Leben Josephs. Das Buch „Über Joseph“ (de Josepho) führt eigentlich den Titel: Lebensbeschreibung des Staatsmannes. Joseph gilt Philo als Typus des Staatsmannes; der Staatsmann ist aber nach seiner philosophischen Anschauung nur ein Anhang des Weisen, der als Weltbürger nach dem Naturgesetz lebt, sowie die Einzelstaaten mit ihren Verfassungen und Gesetzen nur Zusätze oder Anhänge des „Großstaates“ d. h. der Welt mit ihrem Welt- oder Naturgesetz sind. Da nun Philo die drei Erzväter als Typen des vollkommenen Weisen geschildert hat, so fügt er gewissermaßen als Anhang zu deren Lebensbeschreibungen das Leben des in Joseph verkörperten Staatsmannes hinzu.
Philos Schrift über das Leben Mosis gehört zu der Gruppe seiner apologetischen Schriften. Dafür spricht schon der erste Satz. Der Verfasser erklärt darin, er beabsichtige, mit dem Leben des jüdischen Gesetzgebers die Kreise bekannt zu machen, die es beanspruchen dürfen, damit nicht unbekannt zu bleiben. Darunter können nur die Hellenen, besonders die Gebildeten unter ihnen, verstanden werden. Denn dass es den Juden nicht bekannt sei, konnte er nicht annehmen. Auch der Versuch, in der Einleitung das Schweigen der meisten hellenischen Schriftsteller über Moses zu erklären, ist ein Beweis dafür. Bekanntlich unternimmt Josephus in seiner gleichfalls apologetischen Schrift „über das Alter der Juden“, gewöhnlich „gegen Apion“ genannt, dieselbe Aufgabe, indem er den Gegenbeweis durch Anführung einer Anzahl von Griechen und anderen Nichtjuden führt, die von dem jüdischen Volke berichten. Dafür spricht ferner die Tatsache, dass der Verfasser in der verhältnismäßig umfangreichen Schrift nirgends, wie er es sonst, namentlich in den Einleitungen, zu tun pflegt, auf seine früheren Arbeiten ähnlicher Art Bezug nimmt.
Während die zwei Bücher über das Leben des Moses ein ganz für sich allein stehendes Werk sind und schon aus dem Grunde, weil sie für einen nichtjüdischen Leserkreis bestimmt sind, in keinem engeren Zusammenhang mit andern Schriften Philos stehen, gehört das Buch „Über den Dekalog“ (De decalogo) wiederum zu der zusammenhängenden Schriftenreihe, in der Philo eine systematische Darstellung des ganzen Inhalts des Pentateuchs gibt. Das Buch „Über die Weltschöpfung“ war der erste Hauptteil dieses großen Werkes, die Lebensbeschreibungen der Patriarchen, von denen nur das Leben Abrahams und Josephs erhalten sind, bildeten den zweiten Hauptteil. Das vorliegende Buch steht an der Spitze des dritten Hauptteils, der die Mosaische Gesetzgebung behandelt, und schließt sich, wie aus Philos Worten selbst hervorgeht, unmittelbar an das Leben Josephs an. Philo handelt darin über die Zehn Gebote, die er, wie auch der überlieferte Titel besagt, als κεφάλαια νόμων bezeichnet, d. h. als die Hauptstücke oder die allgemeinen Grundlagen der von Moses gegebenen Spezialgesetze, deren Erläuterung im einzelnen dann in den folgenden Büchern gegeben wird.
Philon von Alexandria (* um 15/10 v. Chr.; † nach 40 n. Chr.) war ein einflussreicher jüdischer Philosoph und Theologe. Er ist der bekannteste Denker des hellenistischen Judentums.